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  • AutorenbildHopesister

Die Blume

von Steffi





Mitte Juni. Ein schwerer Tag für mich, denn an diesem Tag sollte eigentlich unser lang ersehntes Wunschkind zur Welt kommen. Heute wäre der Geburtstermin. Nach all den Kämpfen, all den Untersuchungen, all den Gebeten, all den Tränen, all den hoffnungsvollen Momenten die dann doch wieder in Enttäuschung endeten.


Aber nein, denn nach einigen Wochen, nachdem der Arzt uns verkündete «Sie sind schwanger», stellte sich heraus, dass etwas nicht in Ordnung war. Wo blieb das schlagende Herz? Es könnte einfach noch eine wenig Zeit brauchen. Wir warteten und hofften weiter. Doch irgendwann gab es keine Hoffnung mehr, der Embryo hatte sich im Eileiter eingenistet. Daher musste sofort in der 9. SSW operiert werden. Der Embryo, welcher endlich nach all der Zeit entstanden war, musste rausgeschnitten werden und der Eileiter, in einer späteren Operation, gleich noch dazu. Es folgten schwierige Stunden, Tage, Wochen. Einsame Zeiten, Trauer, Unglaube, Zweifel, Hoffnungslosigkeit. Irgendwann ging es mir etwas besser aber der tiefe Schmerz darüber, dass der kleine Embryo «nur» am falschen Ort war und, dass wir so nahe dran waren, blieb in meinem Herzen.


Dann, Mitte Juni, der Tag, an dem der Geburtstermin hätte sein sollen, macht mich fertig. Der Schmerz in meinem Herzen nimmt Überhand, ich bin so unendlich traurig und fühle mich so allein. Dazu kommt, dass genau in dieser Woche eine Bekannte, die nicht schwanger werden wollte, es dann aber versehentlich doch wurde, einen kleinen Jungen entbunden hatte. Ich kann es nicht fassen, dass Gott mich so leiden lässt und nicht mir, sondern dieser Frau ein Kind schenkt, obwohl sie gar keines wollte. Natürlich ohne Komplikationen. Ich spüre an diesem sonnigen Junitag ein gemeines, vertrautes Gefühl in mir hochkriechen: Bitterkeit. Dazu Neid, Wut und Unruhe in meiner Seele. Ich habe heute frei und merke, dass ich was tun muss, da ich den Tag sonst womöglich nicht aushalte. Dunkle, bekannte Gedanken schleichen sich in mein Herz. Gefühle der Wertlosigkeit, Scham und Zweifel an meiner Weiblichkeit durchziehen meine Seele.


Ich entschließe mich einen Spaziergang zu machen. Auf diesem Spaziergang beginne ich mit Gott zu reden und ihm zu sagen, dass ich unendlich wütend und traurig bin. Ich breite mein ganzes Unverständnis vor ihm aus. Es ist schon eine Weile her, seit ich das letzte Mal mit ihm gesprochen habe. Je länger ich spaziere, desto mehr wird ein Gefühl immer grösser: Traurigkeit. Die habe ich irgendwie hinter meiner Wut und Bitterkeit versteckt. Ich merke, dass ich diesen Embryo in meiner Seele festhalte und diesen Verlust bisher nicht akzeptieren konnte, weil ich die vollkommene Trauer, welche hinter der Wut schlummert, nicht aushalten konnte. An diesem Junitag kommt es hammerhart bei mir an: Heute wäre der Termin. Heute sollte das Kind bei mir sein, aber es ist nicht so. Das Kind hatte sich nicht entwickelt, hatte von Anfang an keine Chance, war nicht lebensfähig und ist deshalb nun nicht hier. Während ich weiter spaziere, fällt mir eine kleine weiße Blume am Wegrand auf. Einem Impuls folgend pflücke ich diese Blume und sitze etwas weiter auf eine Bank.


Und dort auf dieser Bank weine ich. Ich weine zum ersten Mal ohne die Gefühle der Wut und der Bitterkeit, sondern einfach nur, wegen dem Verlust dieses lang ersehnten Kindes. Und irgendwann kommen keine Tränen mehr. Ich schaue die Blume an und spüre, dass Gott mir nun Kraft gibt, dieses ersehnte Kind, loszulassen, trotz allem Unverständnis. Während ich dort sitze, merke ich, dass es gut war, mich Gott vollkommen hinzugeben, mit allen Zweifeln und Gefühlen. Der Gedanke an die Bibelstelle von Jesaja 55.8-9 kommt in mir hoch: Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR; sondern soviel der Himmel höher ist denn die Erde, so sind auch meine Wege höher denn eure Wege und meine Gedanken denn eure Gedanken.…


Ich gehe weiter und ich lasse die Blume auf der Bank liegen. Für mich ist es ein symbolischer Akt: Den Traum dieses eigenen Kindes loszulassen und nicht mehr daran festzuhalten. Ich lasse ihn dort liegen. Ein paarmal drehe ich mich noch um und beginne erneut zu weinen, merke aber wie gut mir das Zulassen des echten Schmerzes, unverfälscht und ohne Wut, tut.


Beim Weitergehen kommt mir ein Lied in den Sinn: «I raise a Hallelujah». I raise a Hallelujah in the presence of my enemies. Im Refrain heisst es: I’m gonna sing, in the middle of the storm, louder and louder, your gonna hear my praises roar. Up from the ashes hope will arise, death is defeated, the King is alive. Als ich das Lied höre und mitsinge, bekomme ich neue Hoffnung. Keine Hoffnung auf ein Baby, nein, Hoffnung auf ein Leben frei von Neid, Bitterkeit und Wut. Ich beschließe von diesem Tag an, immer wieder ein


auszusprechen. Egal wie meine Situation aussieht, egal wie «vermeintlich» gut es Andere haben und ich nicht, egal wie meine Lebensumstände sind. Auf dem Heimweg von diesem Spaziergang bin ich verändert. Ich habe wirklich losgelassen. Ich merke, dass ich keine Antwort auf die «Warum-Frage» brauche, um Gottes Nähe zuzulassen. Wie nie zuvor begegnet mir Gott in meinem aufrichtig geteilten, echten Schmerz. Für jede andere spazierende Person an diesem Tag, war diese Blume, wahrscheinlich nur eine Blume am Wegrand. Für mich war sie lebensverändernd.


Heute. Die Trauer über den Verlust war nicht plötzlich weg, auch die weiteren Kinderwunschbehandlungen durchstand ich nicht ohne Probleme. Es ist auch nicht so, dass seit diesem Spaziergang alles perfekt ist. Ebenso wenig, dass ich nie mehr eifersüchtig gewesen wäre. Aber es ist so, dass ich seit diesem Tag, mein Herz viel öfters zu Gott bringe und ihn bitte in meinem Herzen aufzuräumen, um Raum für Gutes, Schönes und Wertvolles zu schaffen.


Ja, ich spreche ein Halleluja nun viel öfters in allen meinen Lebenslagen aus, ohne zu wissen, ob sich meine Träume erfüllen werden oder auch nicht. Halleluja bedeutet den Herrn loben und damit habe ich an diesem Tag, damals im Juni begonnen. Unabhängig von meiner Lebenssituation, egal ob gut oder schlecht: «Lobe den Herrn meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat».


You are fruitful!

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